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29.08.2022

Die Klassifikation der Neumärkischen Landgemeinden 1718/19

Brandenburg-Preußen erholte sich im 17. Jahrhundert nur langsam von der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges. Nur allmählich stärkten Zuwanderer die Wirtschaft und eine neue Armee verschaffte sich im Kreise der europäischen Nachbarn Respekt. Mit einem kühnen Akt erhob sich 1701 Friedrich III. von Hohenzollern zum König der Preußen. Er setzte sich bei der Krönungszeremonie im Schloss zu Königsberg am 18. Januar 1701 die Krone selbst aufs Haupt, die ihn fortan zu Friedrich I. „König in Preußen“ machte. Vorausgegangen waren geschickte Verhandlungen der Hohenzollern mit dem Kaiser Leopold I. Friedrich wollte nicht König von Brandenburg, sondern von Preußen werden und hatte deshalb Leopold I. gebeten das Herzogtum im Osten in ein Königreich umwandeln zu dürfen, was dieser genehmigte. Friedrich I. regierte Brandenburg-Preußen bis zu seinem Tode am 25. Februar 1713. Er verhalf während seiner Amtszeit dem Adel zu neuer Blüte und lebte selbst buchstäblich in Saus und Braus. Die ca. 1,5 Millionen Einwohner in Brandenburg-Preußen waren dagegen bitterarm, mussten wie Sklaven für die wenigen Gutsherren Fronarbeit leisten. Das pompöse Leben des gesamten Hofstaats und der Aufbau der neuen Armee verschlagen Unsummen, sodass sich Friedrich bereits 1710 genötigt sah, nach weiteren Einnahmen zu suchen. Im Auftrag des Königs bereiste daraufhin Graf Christian Friedrich Luben von Wulffen auf der Suche nach neuen Steuereinnahmen alle Provinzen des Reiches, jedoch ohne wirklich großen Erfolg.

Als Friedrich Wilhelm I. aus dem Hause Hohenzollern, später Soldatenkönig genannt, im Frühjahr 1713 die Nachfolge seines Vaters Friedrich I. im Amt des Preußischen Königs antrat, übernahm er ein Erbe von ca. 20 Millionen Talern Staatsschulden. In einer seiner ersten Amtshandlungen strich er deshalb den Etat des Hofes auf das nötigste zusammen, verkaufte 18 von 24 Schlössern und regierte fortan mit eiserner Sparsamkeit. Zur Erhaltung der Macht Preußens stellte er den weiteren Aufbau und Erhalt der Armee in den Vordergrund. Er erkannte auch, dass eine Sanierung des Staatshaushaltes und dauerhaft stabile Steuereinnahmen nur durch eine Reform der Besitzverhältnisse und die Bereitschaft der Bevölkerung zur Schaffung von Werten zu erreichen sei. Er übernimmt die Grundsätze der Pietisten „Fleiß, Gehorsam, Wahrheitsliebe“, die preußischen Tugenden, für seinen Militärstaat.

Friedrich Wilhelm I. erkannte auch bald nach seiner Machtübernahme große Versäumnisse seines Vaters in Sachen Besteuerung der Landgüter, der diese Angelegenheiten den Männern seines Vertrauens überlassen hatte. Die Folge waren geduldete Steuerhinterziehungen der Ritterschaft, die bei der Hufenveranlagung oft nur die Ritterhufen und nicht die zum Gutsbetrieb gehörenden aber von den Bauern und Kossäten bewirtschafteten Hufen angegeben hatten oder deren Hufen als Ritterhufen deklariert hatten. Friedrich Wilhelm griff ein und wünschte zunächst seine Vasallen im ganzen Staat kennen zu lernen. Hierzu diente eine nach Kreisen geordnete Tabelle, in der sämtliche Vasallen aufgeführt und jeweils 5 Fragen zu beantworten waren.

1. Welche Güter sie besitzen
2. Wie viele Lehnpferde darauf haften
3. Ob Sie auf Ihren Gütern oder wo sie wohnen
4. Wie viele Kinder oder Gesamthänder (Erbberechtigte) ein jeder habe
5. Was sowohl Vasallen oder Kinder hier oder in fremdem Diensten bekleiden

In der ersten Jahreshälfte 1714 gingen die Tabellen ein, wurden aber nach Überprüfung durch das Ministerium als unvollständig und unordentlich am 3. Juni 1715 zur Richtigstellung an die Kreise zurückgeschickt. Nach einigem Hin und Her über die Pflichten zur Offenlegung der Besitzverhältnisse durch die Gutsbesitzer erhielt das Ministerium Ende 1714 dann die korrigierten Tabellen. 
Hatte sich der König so einen Überblick über die Personen des Adels verschafft, so wünschte er nun auch genaue Kunde vom Umfang des ritterlichen Besitzes und dessen Verhältnis zum bäuerlichen zu erhalten. Am 29. Januar 1714 war ein Edikt zur Revision des Catastrorum, sowie der Landes-Matricul- und Schoß-Bücher ergangen. Wüste Höfe, Hufen und Feldmarken sollten wieder bewirtschaftet werden. Da einige Flächen vom Adel, von Beamten und von Arrendatoren unter Vorwand für sich bewirtschaftet und damit der Besteuerung entzogen wurden, befahl der König nun von jedem Dorf eine besondere und deutliche Tabelle zu erstellen. Die Neumärkische Regierung schickte den Landräten nun für jedes Dorf einen Fragebogen mit folgender Anordnung zur Ausfüllung zu:

1. Name des Dorfes
2. Name der Herrschaft
3. Anzahl der Ritterhufen, Real- oder Bauernhufen, Schatten- oder Kossätenhufen
4. Anzahl vormals besetzter Höfe (Bauern, Kossäten)
5. Haben vormals Hufen gehabt
6. Jetzt besetzte Höfe (Bauern, Kossäten), haben jetzt Hufen im Besitz
7. Mehr besetzte Höfe
8. Weniger besetzte Höfe
9. Beschaffenheit des Ortes an Acker, Wiesenwachs etc. Pertinentien
10. Ob die Besetzung praktikabel sei oder nicht

Die Spalten 1-5 wurden nach alten Katastern von den Landräten ausgefüllt. Zur Ausfüllung der Spalten 6-10 wurden die Tabellen den Besitzern und den königlichen Ämtern zugeschickt. Hielt der Landrat nach Wiedereingang noch eine mündliche Erörterung für nötig, erging eine Vorladung. Meldeten Besitzer, sie seien des Lesens und Schreibens unkundig, wurde der Kreisbote für das Ausfüllen der Tabelle geschickt. So entstand zumindest ein klares Bild von der Verteilung des Grundbesitzes.

Die Herren von Adel hatten das Wort gehabt, aber auch wohl manches verschwiegen und für sich behalten. Der König war nicht zufrieden und verlangte nun auch die Stimmen der Gutsuntertanen zu hören. Im Jahre 1717 erteilte er dem General-Major v. Blankensee den Auftrag auf dem Lande Ordnung und Klarheit zu schaffen. Den Anfang machte dieser in den an Hinterpommern grenzenden Landkreisen. Die Aufgabe wurde von ihm zur vollen Zufriedenheit gelöst. Am 23. Februar 1718 wurde ihm dann die gleiche Aufgabe für die restliche Neumark erteilt. Im April 1718 versammelten sich dann in Berlin die Landräte unter Vorsitz von General-Major v. Blankensee zu Kontributionsverhandlungen mit dem Ziel, durch eine neue Klassifikation das ganze Steuerwesen zu reformieren. Nach zweitägigen Verhandlungen stand folgender Plan zur Durchführung der Klassifikation der Dörfer fest:

Eine Kommission, so wurde festgelegt, reist von Kreis zu Kreis, fängt im Norden in Schivelbein an und endet im Süden mit Cottbus. Sie schlägt in der Kreishauptstadt oder einem der königlichen Ämter ihren Sitz auf. Ein Edikt macht die Landbevölkerung mit der bevorstehenden Klassifikation bekannt, wird von den Kirchenkanzeln verlesen. Die Gemeindemitglieder des jeweiligen Dorfes, Herren von Adel, die Beamten, Gutsverwalter, Schulzen, Bauern, Kossäten, Müller, Schäfer, Hirten, Schmiede, Krüger, Küster haben sich bereits am Vortag des Verhörs am Ort der Kommission einzufinden und alle verfügbaren Urkunden, Abschätzungen, Pachtverträge, Kontrakte u.a. Urkunden mitzuführen. Das Verhör wird mit einem körperlichen Eid der Beteiligten zur Wahrheit eröffnet. Über das Verhör einer Gemeinde wird ein Protokoll in folgender Fassung erstellt:

I. Der oder die Besitzer des Rittergutes
II. Der Hufenstand nach der alten Matrikel, z.B.
(Bauern, Kossäten, Schäfer, Hirten, Schmied, Küster, Müller)
III. Freistellung der Realhufen

Daran schließen sich die Antworten auf 28 Fragen an die Vorgeladenen an:

1. Wieviel Bauern und Kossäten im Dorf seien und auf wieviel Hufe dieselben liegen; wieviel Morgen die Hufe hat und wievielerlei Feld sie haben; was sie an Winter- und Sommerkorn in der Hufe aussäen können, wann sie ganz rein ist, und das wievielte Korn sie davon wiederbekommen?
2. Ob auch einige darunter verpachtet oder auf Dienstgeld gesetzt und beim Ackerwerk und Rittergut seien, und was vom Hofe gegeben wird?
3. Ob die Höfe und Hufen, so verpachtet, so gut seien als die anderen, davon Dienste getan werden, und ab Hofwehr dabei sei und sie ihre eigenen Hofzimmer haben?
4. Wie lange die Bauernhufen beim Herrenhofe gewesen?
5. Was der Herrschaft vom Bauern- item Kossätenhofe für Dienste zu Fuß und mit Anspannung getan werden, wann sie auf den Dienst kommen und wieder abgehen?
6. Ob der Bauer nach großen Städten an den Dienst fahren und was er aufladen müsse und was die Herrschaft für Nutzen davon habe?
7. Ob der Bauer ein gewisses Land bestellen müsse oder tue, was ihm angesagt werde?
8. Ob der Bauer oder Kossät von der Herrschaft bei den Fuß- und Pferdediensten gespeiset werde oder ob er Deputat bekomme und wieviel?
9. Ob der Bauer oder Kossät die Kontribution, Hufen- und Giebelschoß, Kriegsmetze, Marsch- und Einquartierungskosten ganz oder nur etwas zu Hilfe, item was sie an Pächten geben, Auf- und Abzugsgeld, beste Pferde?
10. Ob der Pächter über die Pächte und Dienstgelder auch noch etwas der Herrschaft geben oder Dienste tun müsse?
11. Ob das Land gut oder mittelmäßig oder schlecht und wievielsähig sei?
12. Ob Wiesenwachs, Weide, Viehzucht, Holz, Torf, Fischerei, Bienen vorhanden oder auch sonst noch einiger Abnutz vorgenommen werden könne?
13. Ob sie so viel Pferde und Vieh aufziehen können, als sie zum Gebrauch nötig haben?
14. Ob jeder Bauer noch sein volles Land zu seinem Hofe habe, so vor Alter dazu belegen gewesen, mit allen Beiländern, Wiesen, Holz, Fischerei und dergl.?
15. Ob der Bauer die Dienste, so er und seine Vorfahren vorhin getan, noch oder mehrere tue?
16. Ob die Herrschaft von den steuerbaren Hufen, so beim Herrenhofe oder Ackerwerk sind, auch die Marsch- und Quartier- und dergl. Onera nach Proportion der Hufen mittrage?
17. Ob sie auch dasjenige, was wegen der Märsche, item für die Standquartiere, während der 7 Wintermonate eines Dragoners Hartfuttergeld a‘ Monat 1 Taler, 23 Gr., tut in 7 Wintermonaten 13 Taler, 12 Gr. Für jeden Dragoner, gutgetan werde, jederzeit richtig bekommen?
18. Wenn Mißwachs gewesen, ob ihnen die Herrschaft an ihren Diensten, Dienstgeldern, Pensionen oder Pachten was erlassen und wieviel?
19. Wieviel Vieh ein Bauer und Kossäte auf dem Lande, so er beim Hof hat, ausfüttern könne, ingl. So verpachtet?
20. Ob die Herrschaft den Bauern öfters oder jährlich mit Vieh, Saat- und Brotkorn helfen müsse und wieviel?
21. Ob sie es der Herrschaft auch wiedergeben müssen oder ohne Interessen?
22. Ob auf den wüsten Bauer- oder Kossätenhofstellen Katen stehen und bewohnt werden, ob auch Fischerkaten und wieviel?
23. Ob auch Instleute im Dorf bei den Bauern einliegen und wieviel?
24. Ob auch von den Bauernhufen Viepen- und andere Kornbede, Münze, Silberzins und Blockfuhren an die Königlichen Ämter gegeben werden müssen?
25. Ob auch Mühlen oder Mühlanlagen im Dorfe, ob es eine Erb- oder Pachtmühle sei, was sie an Pacht gebe und ob auch Mühlenland und Wiesen dabei, was die importieren?
26. Was der Erbmüller für das Erbrecht gegeben, und ob der Müller auch auf dem Herrenhof ohne Entgelt arbeiten müsse?
27. Ob der Schäfer, Schmied, Krüger, Büdner oder Instleute, Küster, item Hirten Land oder Wiesen haben, so ihnen nicht vom Rittergute ihnen zugelegt?
28. Ob auch Neuland gemacht ist und wo?

Nach diesen Vorgaben begann die Kommission ihre Arbeit am 3. Mai 1718 in Schivelbein. Sie bestand aus 3 hochrangigen Hofräten aus dem Ministerium. Ihnen beigestellt waren als Kreisdeputierte der Landrat des Kreises und Herren von Adel, teils auch aus den Nachbarkreisen.

Die Kommission erledigte ihren Auftrag mit peinlichster Gewissenhaftigkeit und strengster Sachlichkeit ohne jede Rücksichtnahme auf Person und Stand. Festgestellte Verfehlungen der Herrschaft wurden mit entsprechenden Vermerken im Protokoll festgehalten. Noch während des Verhörs wurden sofortige Änderungen befohlen. Friedrich Wilhelm I. hatte sich damit bei allen, die Recht und Gesetz missachteten, als unerbittlicher Herrscher einen Namen gemacht.

Am 2. Februar 1719 wurde die Klassifikation in Cottbus abgeschlossen und im Mai 1719 empfing der Herrscher den Bericht der Kommission.

Friedrich Wilhelm I. regierte mit eiserner Sparsamkeit; bei seinem Tod 1740 hinterließ er seinem Sohn Friedrich dem Großen eine wohlgefüllte Staatskasse und die mit 83.000 Mann viertgrößte und am besten organisierte Armee Europas.

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Quellen:

Preußen 1701-1871, Geo Epoche, Das Magazin für Geschichte

Die Klassifikation von 1718/19, Ein Beitrag zur Familien- und Wirtschaftsgeschichte der neumärkischen Landgemeinden, Von Prof. Dr. Paul Schwartz in Berlin

Admin - 17:37:25 @ Allgemein | Kommentar hinzufügen