rpaetzel.de

Ahnenforschung


Berichte

Hier berichte ich über Orte und Inhalt gefundener Quellen, gebe Hinweise zu Projekten, Neuerungen auf dieser Homepage, Downloads, Tipps zur Nutzung und zum Inhalt der Datenbank.

19.04.2022

Die Bürgerrollen Soldin 1809 und 1810

Die Französische Revolution von 1789 bis 1799 löste in Europa grundlegende gesellschaftliche Veränderungen aus. Im „Code Civil“, das von Napoleon eingeführte Rechtsbuch, setzten die Franzosen die Beendigung der Leibeigenschaften und grundlegende Reformen in der Bildung und beim Militär durch. Bis 1812 beherrschte Napoleon fast ganz Europa. Er führte in allen besetzten Gebieten das moderne napoleonische Verwaltungs- und Zivilrecht ein.

Zwischen 1807 und 1811 folgte auch in Preußen die Modernisierung auf allen Ebenen der Staatsverwaltung. Freiherr vom und zum Stein leitete mit dem Oktoberedikt vom 9.10.1807 die Abschaffung der Leibeigenschaft der Bauern ein. Sie hatten nun das Recht auf die freie Berufswahl und die allgemeine Wehrpflicht wurde eingeführt.

Die Preußische Städteordnung von 1808 regelte nun die Aufsicht des Staates über die Städte und legte die neuen Verwaltungsstrukturen fest. Es wurden städtische Bezirke eingeführt und Bezirksvorsteher gewählt. Die Einwohner jeder Stadt bestanden nun nur noch aus zwei Klassen, den Bürgern und den Schutzverwandten.

Ein Bürger war, wer in einer Stadt das Bürgerrecht besaß. Der Bürger konnte ein städtisches Gewerbe betreiben und Grundstücke im städtischen Polizeibezirk besitzen. Stimmberechtigte Bürger konnten an der Wahl der Stadtverordneten teilnehmen sowie sich selbst zur Wahl stellen und Ehrenrechte genießen. In jeder Stadt galt ab jetzt nur ein Bürgerrecht, Unterschiede zwischen Groß- und Kleinbürgern wurden abgeschafft. Das Bürgerrecht durfte niemandem versagt werden, der sich häuslich niedergelassen hatte und von unbescholtenem Ansehen war. Auch unverheiratete Personen weiblichen Geschlechts konnten das Bürgerrecht erhalten. Stand, Geburt, Religion waren für die Gewinnung des Bürgerrechtes unerheblich. Kantonisten, Soldaten, Minderjährigen und Juden konnte das Bürgerrecht unter den vorgeschriebenen Bedingungen zugestanden werden.

Schutzverwandte waren alle Einwohner, welche das Bürgerrecht noch nicht hatten. Für sie galten in Polizei-, Gemeinde- und Gewerbeangelegenheiten die gleichen Rechte und Pflichten wie für die Bürger. Schutzverwandte durften aber nur solche bürgerlichen Gewerbe betreiben, für die das Bürgerrecht nicht ausdrücklich benötigt wurde.

In der Chronik der Stadt Soldin beschreibt der Verfasser Dr. Werner Reinhold im Jahre 1846 den Tag der Einführung des neuen Magistrats gemäß der Städteordnung am 03.09.1809 mit angemessenen Feierlichkeiten. In Anwesenheit sämtlicher Honoratioren der Stadt, des preußischen Platz-Kommandanten Herrn Hauptmann von Schuler, sowie Herrn Kammerdirektor von Knobelsdorf, danke der alte und neue Oberbürgermeister Ring seinen ausscheidenden Kollegen und hieß das neue Magistratskollegium willkommen. Mit einem frohen Mittagsmahl, einem anschließenden Ball und der Speisung der Ortsarmen endeten die Feierlichkeiten.

Die gewonnenen Freiheiten der Menschen schufen u.a. auch neue erweiterte Aufgaben in der städtischen Verwaltung. Ein größerer Bürokratismus, umfangreichere Dokumentationen, Nachweisungen und Listen wurden nun für die Steuerung der städtischen Belange benötigt. Die Bürgerrollen von 1809 und 1810 sind Beispiele dafür. Sie zeigen die Entwicklung der städtischen Bevölkerung und den zunehmenden Zuzug vom Land in die Stadt. Letzteres auch wegen der anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen der unterschiedlichen politischen Koalitionen im damaligen Europa.

Im Jahre 1809 beherbergte die Stadt Soldin in den rd. 330 Häusern innerhalb der Stadtmauer und ein paar Gebäuden außerhalb, aufgeteilt in 6 Bezirke, 457 Bürger und 220 Schutzverwandte mit ihren Angehörigen und Gesinde, insgesamt 2.930 Einwohner. 1810 waren es 452 Bürger und 338 Schutzverwandte, insgesamt 3.276 Einwohner.

Die beiden Bürgerrollen von 1809 und 1810 wurden vollständig erfasst und sind nun in Form von personenbezogenen Hinweisen und als Tabellen auf https://www.soldin-datenbank.de einsehbar. Die Originale befinden sich im BLHA, Signatur Rep. 8 Soldin 614, Anfertigung der Bürgerrollen infolge der Städteordnung. Die Hinweise und Tabellen enthalten die Namen von allen wohnhaften Bürgern und Schutzverwandten, deren Beruf, Familienstand und Situation (Anzahl der im Haushalt lebenden Männer, Frauen, Söhne, Töchter, Gesellen, Lehrburschen, Knechte und Mägde).

Die Stadt war ab jetzt in 6 Bezirke eingeteilt:

1. Bezirk oder Mühlen-Bezirk
2. Bezirk oder Fabriken-Bezirk
3. Bezirk oder Markt-Bezirk
4. Bezirk oder Dom-Bezirk
5. Bezirk oder Landsberger Bezirk
6. Bezirk oder Kloster-Bezirk

Alle Häuser, Grundstücke bekamen eine eindeutige Nummer (1-330). Diese Grundstücksnummer und die Zuordnung zum Bezirk wurden in den folgenden Jahrzehnten beibehalten. In vielen Verzeichnissen und Nachweisungen von Personen durch die städtische Verwaltung, z.B. Impflisten, Stammrollen, Bürgerlisten aus unterschiedlichen Anlässen, findet man diese Nummer in Verbindung mit den Personen wieder. Damit wird ein zunächst unbedeutendes Detail zu einem wichtigen Baustein für die zweifelsfreie Zusammenführung unterschiedlicher personenbezogener Hinweise. In vielen Fällen, zumindest aber bei den ansässigen Bürgerfamilien, können ausgehend von diesen Bürgerrollen familiäre Zusammenhänge vor und nach 1809/1810 oft geklärt werden.

Admin - 12:50:36 @ Allgemein | Kommentar hinzufügen

Kommentar hinzufügen

Die Felder Name und Kommentar sind Pflichtfelder.

Um automatisierten Spam zu reduzieren, ist diese Funktion mit einem Captcha geschützt.

Dazu müssen Inhalte des Drittanbieters Google geladen und Cookies gespeichert werden.